ekhn 2030 – das Zukunftsprojekt der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau

ekhn 2030 – das Zukunftsprojekt der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau

ekhn2030 – Wie bitte? Die Einen werden schon davon gehört haben, Andere halten es vielleicht eher für einen Schreibfehler. Nur Wenige in unseren Gemeinden werden genau wissen, was sich hinter dem Begriff verbirgt.

Dabei steht das Kürzel „ekhn2030“ für einen vielschichtigen Prozess, der die Evangelische Kirche Hessen-Nassau, EKHN, und das Leben in unseren Gemeinden nachhaltig verändern wird. Und das nicht irgendwie und irgendwann, sondern ganz konkret in den kommenden Jahren.
Die Diskussionen darüber haben 2019 begonnen, auf Ebene der Landeskirche, aber auch in unserem Dekanat Alzey-Wöllstein. Und die ersten wichtigen Weichen sind bereits gestellt.
Wohin also rollt er, der Erneuerungszug, der die EKHN zukunftsfest machen soll und warum wurde er überhaupt auf´s Gleis gesetzt?

Ausgangspunkt der Überlegungen sind Fakten, die wir aus den Medien, aber auch aus Erfahrungen im eigenen Umfeld kennen: Die Kirchen verlieren Mitglieder, durchschnittlich ca. 3% jährlich. Obwohl der Rückgang im Dekanat Alzey-Wöllstein nicht ganz so dramatisch ist, sind auch hier allein im vergangenen Jahr 640 Menschen aus der Kirche ausgetreten. Der Mitgliederschwund wird verstärkt durch die Tatsache, dass weniger Kinder getauft werden als früher, während ältere, treue Gemeindemitglieder nach und nach das Zeitliche segnen.

Weniger Mitglieder, weniger Kirchensteuer- so sieht die nüchterne Bilanz aus. Die Landeskirche muss bis 2030 rund 140 Millionen Euro einsparen – eine gewaltige Summe.

So wird der landeskirchliche Reformprozess ekhn2030 hauptsächlich vom Rotstift diktiert. Aber nicht nur! Er muß auch der Tatsache Rechnung tragen, dass viele ältere Pfarrerinnen und Pfarrer in den Ruhestand gehen und der Seelsorger-Beruf bei jungen Menschen nicht gerade ganz oben auf der Wunschliste steht. Es fehlt also auch der Nachwuchs.
Das bedeutet: In Zukunft werden weniger hauptamtliche Pfarrerinnen und Pfarrer größere oder mehr Gemeinden betreuen müssen. Die zahlreichen Kirchenaustritte könnten allerdings dafür sorgen, dass sich die Seelsorger in Zukunft trotzdem nicht um deutlich mehr Gemeindemitglieder werden kümmern müssen.

Die Reform sieht vor, dass mehrere Kirchengemeinden künftig in sogenannten Nachbarschaftsräumen zusammengefasst und organisiert werden. Die sollen dann von Teams betreut werden, denen neben Pfarrerinnen und Pfarrern auch Mitarbeitende aus dem gemeindepädagogischen und kirchenmusikalischen Dienst angehören.

Zur Diskussion steht auch der Gebäudebestand mit Kirchen, Gemeinde- und Pfarrhäusern. Der Erhalt und Unterhalt dieser Immobilien verschlingt jährlich viele Millionen. Nachdem alle kircheneigenen Gebäude im Dekanat Alzey-Wöllstein erfasst wurden, soll nun im nächsten Schritt ein Bedarfsentwicklungsplan erarbeitet und festgeschrieben werden. Am Ende wird aber auch hier ein Abbau stehen.

Ist der Begriff „ekhn2030“ also nur eine freundliche Umschreibung für schmerzhafte Sparmaßnahmen? Und welche konkreten Auswirkungen wird der Reformprozess für unsere Gemeinden haben?
Darüber sprach Brigitte Weismann-Schmidt mit Pfarrer Eric Bohn:

Wie sehen Sie das Zukunftsprojekt der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau? Als Chance für Neues oder eher als „Rotstift-Aktion“?
Bohn: Ich sehe den Prozess erst mal als eine Reaktion auf eine Krisensituation unserer Kirche. Das sollte man klar benennen. Wir müssen einen deutlichen Mit-gliederschwund zur Kenntnis nehmen, der auf der einen Seite demografische Ursachen hat, auf der anderen Seite aber auch durch Kirchenaustritte bedingt ist. Auch das hat mehrere Gründe: Vorkommnisse, besonders in der katholi-schen Kirche, geben den Menschen Anlass auszutreten. Viele unterscheiden da nicht zwischen evangelischer und katholischer Kirche. Ich bekomme aber auch Rückmeldungen, dass es sich schlicht und ergreifend um finanzielle Gründe han-delt. Man merkt, alles ist teurer geworden. Und die Leute stellen sich die Frage: Wo kann ich noch sparen – und dann ist der Kirchenaustritt schnell da. Vor die-sem Hintergrund sehe auch ich keine Alternative als Verkleinerung, wie das mit ekhn2030 jetzt geplant ist.
Ein weiteres Problem ist ja auch der fehlende Nachwuchs. Der Beruf des Pfar-rers, der Pfarrerin scheint für junge Leute nicht mehr besonders attraktiv zu sein. Können Sie sich diese Entwicklung erklären?
Bohn: Ich denke, es hat zu tun mit den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. Kirche ist nicht mehr so gefragt, bietet für viele Menschen nicht mehr den Ort, den wir uns eigentlich wünschen: Beheimatung, Orientierung und Hilfe in Krisen-situationen. In Gesprächen mit jungen Kolleginnen und Kollegen merkt man: Da verändert sich was im Berufsbild. Heute spielt Work-Live-Balance eine größere Rolle, die Frage, ob ich als Pfarrerin oder als Pfarrer wirklich jederzeit ansprech-bar sein will. Der Pfarrberuf geht mit seinen Ansprüchen ja schon stark in den persönlichen Bereich und das ist sicher für manche ein Grund zu überlegen, ob sie das wirklich wollen.
Eigentlich müsste sich die Kirche doch bemühen, neue Mitglieder zu gewinnen oder zumindest die alten zu halten, um zukunftsfähig zu bleiben. Wird da mit dem Sparprozess nicht eine Spirale nach unten in Gang gesetzt? Je weniger Kirche anbietet, umso mehr Austritte?
Bohn: Diese Gefahr sehe ich auch. Nur ich wüsste nicht, was wir dagegenhalten könnten. Ich sehe nur die Möglichkeit, dass man versucht durch eine gute Orga-nisation der Arbeit in den geplanten Nachbarschaftsräumen wieder Ressourcen, insbesondere Zeit, für anderes zu bekommen. Da liegt auch die Chance von ekhn2030, dass man neben dem Verzicht auch offen für Neues wird.
Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Bohn: Ja, ich höre von Kollegen und Kolleginnen, dass in manchen Kirchen am Gottesdienst regelmäßig nur ungefähr drei Leute teilnehmen. Und das nicht als Ausnahme, sondern als Regel. Bei uns ist es nicht ganz so schlimm. Trotzdem muss man sich fragen, ob wir es uns unter diesen Umständen noch erlauben können, Gottesdienste in einer Atmosphäre zu feiern, durch die eher eine De-pressionsspirale in Gang gesetzt wird. Stattdessen könnte man überlegen, weni-ger reguläre Gottesdienste anzubieten und die Quantität durch Qualität zu er-setzen. Dafür könnte man mutig zum Beispiel auch Projekte und Veranstaltun-gen anbieten, die eine größere Ausstrahlung haben. Aber natürlich wäre das ein Verlust für diejenigen, die sich bisher im regelmäßigen Gottesdienst gut aufge-hoben gefühlt haben.
Kommen wir zu unseren Gemeinden. Was bedeutet der Reformprozess ganz konkret für uns?
Bohn: Ich weiß noch nicht konkret, wo es hinläuft. An ekhn2030 sind sehr viele Menschen beteiligt und wir stehen in der Diskussion noch am Anfang. Wir ha-ben bei uns relativ stabile Mitgliederzahlen, was auch mit einigen Neubaugebie-ten zu tun hat, wo neue Gemeindemitglieder zugezogen sind, die den Schwund etwas ausgleichen.
Für die Frage des Gebäudeerhalts war ich mit den Kirchenvorständen einig, dass wir in den vergangenen Jahren viel für den Erhalt der Bausubstanz getan haben, als das noch möglich war. Da sind wir in einer relativ günstigen Situation. Das Pfarrhaus und die Gemeindehäuser sind neu oder neu renoviert. Auch die Kir-chen sind, wenn wir die aktuellen bzw. für dieses Jahr noch geplanten Maßnah-men abschließen werden, baulich in einem sehr guten Zustand. Und die kirchen-eigenen Gebäude werden auch ganz gut genutzt.
Werden Sie in Zukunft noch mehr Gemeinden zu betreuen haben?
Das kann man in der Tat nicht ausschließen. Wir haben von der Landeskirche für das Dekanat Alzey-Wöllstein die Vorgabe bekommen, dass von den jetzt vorhan-denen sechs Pfarrstellen ein Viertel gekürzt werden muss. Das wird sich mit Si-cherheit auch auf unsere Kirchengemeinden auswirken. Wenn eine oder gar an-derthalb Stellen wegfallen, dann wird das spürbare Folgen haben. Dann müssen wir im kollegialen Miteinander sehen, wie wir die Arbeit neu verteilen.
Sie haben aber doch jetzt schon viel zu tun. Wenn das noch mehr wird, wie sehen Sie die Zukunft für Ihre Arbeit und unsere Gemeinden?
Bohn: Da wird man sich mehr auf die „Pflichten“ als auf die „Kür“ konzentrieren müssen. Was ich für mich als „Kür“ bezeichne, ist zum Beispiel die Kirchenmusik, die mir am Herzen liegt, aber vor allem auch die Jugendarbeit, die ich wichtig finde. Ich habe dazu aber keinen konkreten Dekanatsauftrag. Ich mache das frei-willig und sehr gerne und werde dabei auch von den Kirchenvorständen unter-stützt. Da wird man in Zukunft sagen müssen: Dafür gibt es Gemeindepädagogen im Dekanat, die sollen die Angebote für die Jugend machen. Das führt aus mei-ner Sicht aber dazu, dass die Kirche immer weniger im Dorf bleibt, dass sich die Pfarrerin, der Pfarrer immer mehr von den Menschen entfernt und damit Bezie-hungen und Bindungen verloren gehen. Bei mir ist es die Jugendarbeit, die dann wegfällt, bei einem anderen Kollegen ist es vielleicht die Seniorenarbeit, die er bisher mit besonderen Angeboten intensiv begleitet hat.
Und was sind die Pflichten, die auf jeden Fall weiter zu Ihrem Amt gehören?
Bohn: Verkündigung, Unterricht und Seelsorge – das sind die drei klassischen „Säulen“ des Pfarrberufs. Dazu kommen die Verwaltungsaufgaben, die zwar nicht als vierte Säule genannt werden, aber natürlich auch viel Zeit kosten. Das alles darf nicht leiden, egal wie man das zukünftig organisiert.
Ist das dann noch der Beruf, für den Sie sich mal entschieden haben?
Bohn: Zum Teil schon, weil ganz viel, was ich jetzt in den Bereich der „Pflicht“ eingeordnet habe, mir auch von Herzen wichtig ist: Die Verkündigung, also der Gottesdienst, die Seelsorge und der Religionsunterricht an der Schule… Aber egal, wo man hinschaut: Es wird mit Verlusten, auch mit Kontaktverlusten, ver-bunden sein. Auf jeden Fall! Und das finde ich sehr schade. Denn was mich an meinem Beruf immer sehr motiviert hat und immer noch sehr motiviert, das ist die große Freiheit zur Kreativität. Dass man ganz viel bewegen, eigene Schwer-punkte setzten kann und dies auch von der Gemeinde mitgetragen wird. Da sind zum Beispiel die ökumenischen Gemeindereisen, die ich mitgestalte und per-sönliche Kontakte knüpfe, oder die kirchenmusikalischen Projekte. Das ist für mich sehr reizvoll. Aber es ist absehbar, dass das in Zukunft nicht mehr leistbar sein wird und man sich auf die Pflichtbereiche wird beschränken müssen.
Vielen Dank, Herr Pfarrer Bohn, für das offene Gespräch!

Brigitte Weismann-Schmidt